Hybridisierung bei Vieja-Arten -

oder der „Seitensprung” bei Buntbarschen

Ein über mehrere Jahre beobachtetes Ereignis veranlaßte mich, diesen Bericht zu verfassen. Keinesfalls neu für uns ist, daß sich unsere Buntbarsche im Aquarium kreuzen. Diese Verhaltensweise trifft sogar gelegentlich in der Natur auf, doch haben die daraus hervorgehenden Hybriden nur geringe Chancen auf Bestehung. Anders im Aquarium. Die Enge des Behälters kombiniert mit dem territorialem Verhalten zu vieler Fische auf engstem Raum sowie das Fehlen von Rückzugsmöglichkeiten führen gelegentlich dazu, daß sich zwei Cichliden verschiedener Arten untereinander verpaaren.
Gewünscht wird dies in den seltensten Fällen. Gewissenhafte Pfleger und Züchter versuchen, ihre Tiere so artenrein wie möglich zu halten. Leider passiert es immer wieder, daß Kreuzungen von ahnungslosen Händlern (und Züchtern?) verbreitet werden. Einige wenige machen dies leider auch ganz bewußt. Nun will ich aber nicht kritisieren, sondern über seltsame Beobachtungen berichten. Es handelt sich um Vieja bifasciata (Steindachner, 1864), Vieja zonata ( Meek, 1905) und Vieja sp. ?Coatzacoalcos? (bekannt geworden als Vieja guttulata, fälschlicherweise). Arten, die ich seit mehreren Jahren halte und auch selbst in ihren natürlichen Lebensräumen gefangen und davon mitgebracht habe.
Entstanden ist die ganze Geschichte 1995, als sich zum ersten Mal V. bifasciata mit V. sp. ?Coatzacoalcos? bei mir kreuzte, wobei das Weibchen ein V. bifasciata Wildfang aus dem Rio Notutun/Chacamax aus Chiapas in Mexiko war und das V. sp. ?Coatzacoalcos? Männchen ein Nachzuchttier war. Bekannt ist, daß V. sp. ?Coatzacoalcos? sehr schnell wächst und im Aquarium über 40 cm erreichen kann, während V. bifasciata ein gutes Stück kleiner bleibt und langsamer wächst. Die aggressivere Art aber ist V. bifasciata.
Aus reinem Interesse zog ich ein paar Jungtiere dieser Kreuzung heran. Alle Tiere sahen aus wie V. bifasciata, wuchsen aber sehr schnell und waren untereinander recht aggressiv im Stadium des Heranwachsens. Das bißchen Erinnerung an die Mendelsche Vererbungslehre sagte mir, daß wohl V. bifasciata die dominante Art und V. sp. „Coatzacoalcos“ die rezessive sein müßte, da deren Aussehen bei den Hybriden komplett unterging. Erstaunlich für mich war, daß beide Arten Sexualpartner im Aquarium hatten und das Männchen von V. sp. „Coatzacoalcos“ vorher bereits einige Male mit einem artgleichen Weibchen ablaichte und erfolgreich Jungfische aufzog. Bis das Bifasciata-Weibchen kam und anscheinend sein Interesse an ihr weckte. Das war 1995.
Die erste Wiederholung ereignete sich 1997. Ein Weibchen von V. bifasciata aus dem Rio Candelaria in Mexiko verpaart sich mit einem Nachzuchtmännchen von V. zonata, wobei diesmal das Bifasciata-Weibchen schon mit seinem artgleichen Partner abgelaicht hatte und in diesem Fall die Aktivität vom V. zonata Männchen ausging. Die Jungfische sahen wieder aus wie V. bifasciata, das blau der V. zonata fehlte völlig. Zwei Tigerspatel- und ein Rotflossenwels besserten damit ihr Mal auf.
1999: Bei Punta Arena in Mexiko gelangten wir in den Besitz etlicher V. bifasciata einer besonders roten, hochrückigen aber spitzköpfigen Morphe, die ich bereits 1992 einmal fing und seitdem nie wieder vorfand. Einige Tage später suchten wir bei Matias Romero nach V. sp. ?Coatzacoalcos? und später auf der Pazifikseite nach V. zonata.
Das Ergebnis nach einem Jahr: Ein Weibchen von V. bifasciata laicht mit dem einzigen, im Aquarium befindlichen Tier von V. sp. „Coatzacoalcos“ ab, während die Männchen von V. bifasciata uninteressiert zusehen. Beim dritten Mal der Kreuzung haben wir es erstmals mit zwei Wildfängen zu tun, trotzdem hybridisieren die Tiere wieder. Was veranlaßt die beiden Cichlidenarten, den jeweiligen Sexualpartner zu ignorieren und statt dessen eine Paarung mit einer anderen Art einzugehen? Warum ist bei diesen hybridisierenden Arten immer das Weibchen der V. bifasciata und das Männchen der V. zonata/ V. sp. „Coatzacoalcos“ und nie umgekehrt? Ich kann diese Frage nicht beantworten, schon gar nicht, da mindestens ein Teil der laichenden Tiere immer vorher mit artgleichen Partner abgelaicht hatte. Diesmal zog ich keine Jungtiere auf, da es mich einerseits allmählich langweilte und ich immer mehr gegen diese Kreuzungen hatte. Andererseits ärgerte ich mich darüber, daß bereits verpaarte Tiere ihre Partnerschaft aufgaben und plötzlich einen anderen Partner suchten (wie bei den Menschen, oder? „Dieter Bohlen und Naddel lassen grüßen“). Ich dachte damals auch noch nicht über diese wiederkehrenden Erscheinungen nach, da es mich schlichtweg nervte.
2000/2001: Ein bis dato viertes Mal wurde ich Zeuge dieser Kreuzungen. Ein Punta Arena-Weibchen von V. bifasciata laicht plötzlich mit einem heranwachsenden Männchen von V. zonata ab. Mir ging es inzwischen mächtig auf den Geist, was meine Vieja da veranstalteten. Die schönsten Paare trennten sich, bloß weil sich ein anderer, schon seit langer Zeit im gleichen Aquarium befindlicher ?Traumpartner? heranmachte an die verpaarten, aber anscheinend unglücklichen Weibchen von V. bifasciata, bzw. Männchen von V. zonata/V. sp. ?Coatzacoalcos?. Wieder hatte ich ungewollte Hybriden im Aquarium, diesmal in meinem größten Becken mit mehr als 1000 Liter Inhalt. Natürlich kamen etliche der kleinen Kerle durch (bei den Nachzuchten, die ich mir wirklich wünsche, kommt nie einer durch!!!) und wachsen und wachsen.
Der richtige Aquarianer beobachtet seine Tiere ja täglich (?), trotzdem fallen ihm ungewöhnliche Dinge meist erst recht spät auf. Die jungen Buntbarsche sahen nämlich diesmal genauso aus wie der Vater, eben wie junge V. zonata, überall blau, die rote Farbe nur in den Flossenenden. Vorbei die Mutmaßung über die Vererbungslehre. Hinfort mit dominanten und rezessiven Erbmerkmalen. Was sollte das denn nun? Wenn schon Hybriden, dann ähnelten bislang alle der Mutter und nicht dem Vater. Jetzt war es an der Zeit, dies schriftlich festzuhalten.
Haben andere Aquarianer schon ähnliches beobachtet? Neigen Hybridisierungen im Aquarium zu gleichen Strickmustern, d.h. stammt das Männchen immer von der einen Art, während das Weibchen immer von der anderen Art stammt?
Ach ja, so ganz nebenbei haben sich inzwischen die hochrückigen, spitzköpfigen V. bifasciata aus Punta Arena mit den rotgelben, schlankeren V. bifasciata vom Rio Notutun gekreuzt, aber dies ist ja kaum nennenswert im Vergleich zu obigen Beobachtungen.

Literatur:

Buchhauser:, Haltung und Zucht von Vieja-Arten, DCG-Info
Buchhauser: Vieja bifasciata, DCG-Info
Buchhauser: Ungewöhnliche Hybridisierung bei Cichliden, DCG-Info
Mailand: Cichliden, Landbuch-Verlag, 1995
Stawikowski & Werner: Die Buntbarsche Amerikas, Band 1, 1998
Stawikowski & Werner: Die Buntbarsche der Neuen Welt, 1985

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© Peter Buchhauser